Wohnflächensuffizienz - (K)Ein Thema für 1,5 Grad?
Ergebnisse einer Studie des Wuppertal Instituts für Fridays for Future
Es ist nun fast 2,5 Jahre her, als die damals fünfzehnjährige Schülerin Greta Thunberg begann, vor dem schwedischen Reichstag für mehr Klimaschutz zu protestieren und rückblickend damit die Geburtsstunde von ‚Fridays for Future‘ (FFF) bewirkte. Eine der zentralen Forderungen der inzwischen globalen Klimabewegung ist die Einhaltung der auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris beschlossenen 1,5 Grad-Grenze, um unumkehrbare Schäden an unserem Ökosystem und damit auch gravierende Folgen für unsere Gesellschaft zu verhindern.
Doch was genau bedeutet dieses Ziel konkret für ein Land wie Deutschland? Was muss getan werden, um CO2-Neutralität bereits 2035 (und nicht erst wie von der Bundesregierung beschlossen im Jahr 2050) zu erreichen – und ist dies überhaupt noch realistisch? Mit diesen Fragen wandte sich FFF-Deutschland Anfang 2020 an das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
Warum erfordert das 1,5-°C-Ziel Klimaneutralität bis 2035?
Um zu verhindern, dass die globale Mitteltemperatur um mehr als 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigt, muss Deutschland klimaneutral werden. Dabei zählt vor allem die Menge an klimaschädlichen Treibhausgasen, die auf dem Weg zur Klimaneutralität insgesamt noch ausgestoßen wird. Bei fairer Aufteilung des weltweit noch zur Verfügung stehenden CO2-Budgets ergibt sich für die Bundesrepublik Deutschland ab 2020 ein Restbudget von 4,2 Gt CO2 um das 1,5-°C-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zu erreichen – sollten Deutschlands Emissionen konstant auf dem Level von 2019 bleiben, wäre dieses Budget allerdings schon 2026 aufgebraucht. Durch eine starke Reduzierung der Emissionen gerade in den nächsten Jahren kann dieser Zeitpunkt auf spätesten das Jahr 2035 – und nicht 2050 – nach hinten verschoben werden.
Da es bislang keine nationalen Klimaschutzszenarien gibt, die eine Klimaneutralität bis 2035 untersucht haben, analysierte die entstandene Studie „CO2-neutral bis 2035“ ambitionierte Energieszenarien, die bis 2050 eine Emissionsreduktion von mindestens 95% unterstellten und untersuchte dann, wie dieser Pfad in den Sektoren Energie, Industrie, Verkehr und Gebäude in der Hälfte der Zeit umgesetzt werden kann.
Klimaschutzszenarien: keine Prognosen, sondern Möglichkeiten
Modellbasierte Klimaschutzszenarien beschreiben mögliche Pfade der Reduktion von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität 2050 und können somit Aufschluss darüber geben, welche Entscheidungen heute getroffen werden müssen, um bestimmte Klimaziele einzuhalten. Wichtig hierbei: Energieszenarien sind keine Prognosen wie etwa der Wetterbericht für die nächsten Tage. Sie sind vielmehr komplexe Modelle von Wenn-Dann-Beziehungen und geben somit keinerlei Auskunft über die Wahrscheinlichkeit einzelner Reduktionspfade („Forecasting)“, sondern lediglich Einblick in mögliche Wege, wie Deutschland sein Ziel eines bis 2050 (annähernd) klimaneutralen Energiesystems realisieren kann („Backcasting“).
Wenn auch grundsätzlich möglich, entstanden für den emissionslastigen Gebäudesektor dabei überaus ambitionierte Forderungen. Neben beispiellosen Anstrengungen bei der energetischen Sanierungsrate, beim Austausch von fossilen Heizungen vor allem gegen Wärmepumpen und beim Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen, muss auch die Frage „Wieviel Wohnfläche ist genug?“ näher betrachtet werden. Denn die Entwicklungen sind bedenklich: Fakt ist, dass die Pro-Kopf-Wohnfläche in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen ist. Betrug sie Anfang der 1960er Jahre noch rund 19 m2, hat sie sich heute mit 47 m2 bereits mehr als verdoppelt. Die „Energieeffizienzstrategie Gebäude“, das zentrale Dokument der Bundesregierung, welches den Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 beschreibt, geht von einem weiteren Anstieg der Pro-Kopf-Wohnfläche auf 54 m2 bis 2050 aus.
Der Wohnflächenanstieg ist insbesondere deshalb Grund zur Besorgnis, da er sich auch auf andere Strategien zur Dekarbonisierung des Gebäudebestands auswirkt, denn jeder zusätzliche Quadratmeter erhöht nicht nur den Ressourcen- und Flächenverbrauch beim Bauen und Sanieren, sondern auch die zu beheizende Wohnfläche. So zeigt die historische Entwicklung deutlich, dass die Energieeinsparungen von effizienteren Wohnungen und Gebäuden zu großen Teilen von einer Zunahme der zu beheizten Fläche ausgeglichen werden.
Im Umkehrschluss weist dies aber wiederum auch das enorme Potenzial auf, das in einer Begrenzung oder sogar Umkehr dieses Trends steckt:
Somit ist Wohnflächensuffizienz „ein starker Hebel zur Emissionsminderung“
(FFF-Studie, S. 93), steuert sie doch das Ausmaß des benötigten Kraftakts
insgesamt mit.
Ein Thema also, was ganz groß im Raum stehen sollte – und doch wird mit Blick auf die in der Studie analysierten Energieszenarien deutlich, dass es bislang doch eher durch Abwesenheit glänzt. Lediglich beim Szenario GreenSupreme sinkt die Wohnfläche auf 41m2; beim Szenario GreenEe1 des Umweltbundesamtes (UBA) bleibt die Pro-Kopf-Wohnfläche weitgehend konstant. Bei den übrigen betrachteten Szenarien hingegen wird keinerlei Aussage zur Entwicklung der Pro-Kopf-Wohnfläche gemacht.
In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei den untersuchten Szenarien bereits um als besonders ambitioniert geltende Modellierungen handelt, ist die stiefmütterliche Behandlung des Themas letztlich ein Indiz dafür, welch untergeordnete Bedeutung dem Thema Wohnflächensuffizienz für die Einhaltung der Klimaschutzziele beigemessen wird.
Das muss sich dringend ändern: Denn auch wenn der individuelle Entscheidungsraum rund um Wohnbedürfnisse und -wünsche an oberster Stelle steht, gibt es heute bereits Ansätze, die Menschen in jeglichen Lebenslagen flächensuffizientes Wohnen ermöglichen – und dabei ganz nebenbei auch soziale und gesellschaftliche Probleme wie Einsamkeit im Alter oder Obdachlosigkeit angehen können. So bieten alternative Wohn- und flexible Nutzungskonzepte, wie z.B. Mehrgenerationen-Wohnprojekt oder Wohnungstausch erste Lösungsansätze, die ausgebaut werden können.
Die FFF-Studie zeigt, dass das Thema seinen Platz auf der Reservebank
nicht verdient.
Es sollte nicht nur vermehrt in den entsprechenden Energiemodellierungen integriert werden, sondern muss auch stärkeren Einklang in der politischen und gesellschaftlichen Debatte finden, wenn das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands schon bis 2035 erreicht werden soll. Denn laut der Studie sind es „weniger die technischen Grenzen, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden werden, sondern der entsprechende gesellschaftliche und politische Wille“ (FFF-Studie, S. 20).
Die komplette Studie für Fridays for Future gibt es hier nochmal zum Nachlesen.
Autor:innen:
Ines Stelk
Ines Stelk studierte Psychologie, Nachhaltige Entwicklung und Public Policy und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Solar Decathlon Europe 21 Projekt an der Bergischen Universität Wuppertal, mit Fokus auf nachhaltige Quartiers- und Stadtentwicklung.
Dr. Steven März
Dr. Steven März ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Stadtwandel, Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und forscht zu den Themen energetische Gebäudesanierung, Energiearmut und nachhaltige Quartiers- und Stadtentwicklung.